Du hast vergessen, Mensch.

 

 

Tagein und tagaus stehe ich hier oben auf dem Hügel.

Ich beobachte dich.

Schon lange.

 

Ich habe gesehen, wie du das Feuer gebändigt hast.

Erinnerst du dich noch?

Heute ist es ein selbstverständlicher Teil deines Lebens.

Und ich?

Hast du mich vergessen?

Hast du vergessen, wer ich bin?

 

Viele Jahre war ich dir Gefährte.

Ich war dein Verbündeter.

Überlebt haben wir nur gemeinsam.

Die Winter waren hart.

Ein Teil der Beute gehörte euch.

Es war ein Gesetz der Natur.

Und nun?

Hast du mich vergessen?

Hast du vergessen, wer ich bin?

 

Heute verjagst du mich.

Mit deinen spitzen Stöcken zielst du auf mich.

Habe ich es jemals gewagt, dein Rudel anzugreifen?

Ein warnendes Knurren vielleicht, aber euch angreifen?

Nein, das taten wir nicht.

Aber du, du hast dieses Gesetz vergessen.

Du hast mich vergessen.

Du hast vergessen, wer ich bin.

 

Einst warst du frei.

Frei im Herzen.

Und nun?

Du bist gefangen.

Gefangen in dir selbst.

 

Hörst du mich nachts heulen?

Macht es dir Angst?

Warum?

Ich bin Natur.

So wie du.

Aber du hast es vergessen.

So wie mich.

Du hast vergessen, wer ich bin.

 

Tagein und tagaus stehe ich hier oben auf dem Hügel.

Ich beobachte dich.

Schon lange.

 

Du machst mir Angst, Mensch.

Deshalb meide ich dich.

Und doch faszinierst du mich immer wieder.

Manches Mal wage ich mich an dich heran.

Doch du… du zielst mit deinem Stock auf mich.

Du hast vergessen.

Du hast vergessen, wer ich bin.

 

Ich war dir einst Verbündeter, Mensch.

Wir waren beide Teil eines Ganzen.

Aber du hast vergessen, Mensch.

Du hast vergessen, wer du bist.

Vergessen, wer ich bin.

 

Ich bin immer noch frei, Mensch.

Frei.

Denn ich bin ein Wolf.

Einst jagten wir gemeinsam.

Heute jage ich allein.

 

Du hast vergessen, Mensch.

Du hast vergessen, wer ich bin.

Vergessen, was wir beide einst waren.

 

 

 

 

 

Dezember 2010

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